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„Ordnung ist das halbe Leben – aber die andere Hälfte macht mehr Spaß.“ Die Ergänzung des alten Sprichwortes durfte sich meine Mutter oft anhören in meiner Teenagerzeit. Aufräumen gehörte nicht unbedingt zu den Dingen, die ich gerne gemacht habe. Entsprechend oft gab es deswegen auch Diskussionen. Zu Aufräumprofi mutierte ich immer dann, wenn ich Hausaufgaben machen sollte, auf die ich keine Lust hatte. Dann wurde erstmal der Schreibtisch entrümpelt, die Stifte sortiert, altes Papier entsorgt,… Dummerweise wurden davon die Hausaufgaben auch nicht früher fertig. Meine Mutter ist früher mit mir echt verzweifelt. Komischerweise war das Thema aufräumen keines mehr, als ich meine erste eigene Wohnung hatte. Da war es mir auf einmal extrem wichtig, dass alles ordentlich und an seinem Platz ist.

Inzwischen glaube ich, dass Menschen so etwas wie ein Chaoslevel haben. Also eine innere Schwelle, die – wenn überschritten – dazu führt, dass man sich nicht mehr wohl fühlt. Die ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Ein guter Freund von mir zählt eher zur Kategorie „sehr hohe Schwelle“, was gleichzusetzten ist mit „Chaos überall“. In der Kategorie „sehr niedrige Schwelle“ habe ich im Freundes- oder engeren Bekanntenkreis niemanden. Meine Schwelle ist eindeutig niedriger als die meines Mannes. Wenn ich ihm gelegentlich am Computer helfen soll, drehe ich fast durch, weil so viel Zeug auf dem Schreibtisch rumliegt. Geht für mich gar nicht. Aber für ihn funktioniert es.

Da meine Chaosschwelle niedriger ist als die meines Mannes, bin meistens ich diejenige, die gefühlt ständig am Aufräumen ist. Obwohl die meisten Dinge bei uns einen festen Platz haben, wandert täglich das eine oder andere durch die Gegend. Oder etwas was eben keinen festen Platz hat liegt halt irgendwo rum. Eine gewisse Zeit ertrage ich das, aber dann ist ein Punkt erreicht, wo es mich nervt. Dann wird halt weg- und aufgeräumt.

Je nach Tagesstimmung läuft das ganz unterschiedlich ab. Wenn ich gut drauf bin, räume ich alles weg und freue mich hinterher, dass jetzt alles wieder so schön ordentlich ist. Wenn ich schlecht drauf bin, kommt es darauf an, ob jemand im Haus ist oder ich alleine bin. Bin ich alleine, bruddle ich vor mich hin und schimpfe und beschwere mich (nicht gut für den Stresspegel und die Laune). Es ist wirklich kontraproduktiv, weil ich dann so schlecht gelaunt bin, dass ich das Ergebnis nicht genießen kann. Ganz schlecht ist es, wenn jemand da ist. Egal ob das nur meine Tochter ist oder auch mein Mann. Dann wird aus dem Gebruddel lautes motzen und schimpfen. Gar nicht gut für die Stimmung und die zwischenmenschlichen Beziehungen. Von der Vorbildfunktion für meine Tochter möchte ich gar nicht reden…

Der Punkt ist – weder meinen Mann noch meine Tochter stört die „Unordnung“ (wirklich unordentlich ist es bei uns eigentlich nie). Das stört nur mich. Natürlich könnte man jetzt einwenden „aber wenn dir das wichtig ist, dann sollte dein Mann doch darauf Rücksicht nehmen“. Macht er ja – er hält mich nie davon ab, wenn ich aufräume. Wenn es eine größere Raumräumaktion ist, macht er auch mit. Muss er deswegen selbst zum Aufräumprofi werden? Nö – ich fange auch nicht an scharfes Essen zu mir zu nehmen, nur weil er das gerne isst.

Bis vor ein paar Tagen war mir das aber nicht so richtig klar, dass ich für mich aufräume. Nicht für andere. (Nein, auch wenn ich vor dem Besuch der Verwandtschaft aufräume ist das für mich – weil ich mir Gedanken darüber mache, was die sonst von mir denken. Und ich hoffe, dass ich mit einem aufgeräumten Haus, die Art der Gedanken beeinflussen kann.) Ich – nur ich – bin diejenige, die es ordentlich haben möchte. Die es „schön“ haben möchte. Klar – mein Mann genießt das auch, aber ihm ist es nicht so wichtig, dass er da Zeit investiert. Es ist nur für mich. Weil ich mich daran erfreue. Weil ich es mag, wenn ich Dinge nicht suchen brauche. Weil ich gerne überflüssiges wieder loswerde. Das ist mein Ding. Ich mag es, wenn ich leere Flächen sehe und nicht alles zugestellt ist. Ich mag es, wenn an manchen Stellen hübsche Dinge stehen. Deswegen übernehme ich jetzt die volle Verantwortung dafür. Kein Motzen und Meckern mehr. Kein Schmollen und Bruddeln. Ich bin gespannt, wie das unser Familienleben verändern wird.