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Gefühle haben immer noch einen schlechten Ruf in unserer Gesellschaft. Das Wort „gefühlsduselig“ zeigt schon, dass es offenbar nicht gut ist, wenn jemand zu viel Gefühle zeigt. Das müssen noch nicht einmal die sogenannten „schlechten“ Gefühle sein, die nicht so gerne gesehen sind. Auch überschwängliche Freude oder Traurigkeit können andere irritieren. Inzwischen ist es sogar so, dass ein Mensch, der länger als zwei Monate trauert, krank ist (mit dem DSM-3 von 1980 durfte man sogar noch ein Jahr trauern, ohne dass es von ärztlicher Seite als bedenklich angesehen wurde). Dieses eine Beispiel zeigt schon, wie sehr wie den Bezug zu unseren Gefühlen verloren haben. Wie sehr versucht wird, alles in Schablonen zu pressen.

Auch wenn es inzwischen Gegenbewegungen gibt und zum Glück viele Kinder wieder alle Gefühle erleben dürfen. Wut und Angst ist ganz oft immer noch ein „schlechtes“ Gefühl. Wut/Ärger/Zorn dürfen nicht sein und wir müssen lernen das zu kanalisieren. Müssen wir wirklich?

Nancy Kline schreibt dazu in „Time to think“: „Das Denken setzt aus, wenn wir aufgeregt sind. Aber wenn wir unsere Gefühle genügend zum Ausdruck gebracht haben, setzt es wieder ein.“ Das ist im Grunde genau das, was Kinder tun. Zumindest bis es ihnen abgewöhnt wurde. Kinder sind wütend und wenn die Wut durch ist, lachen sie, als ob nichts gewesen wäre. Sie sind traurig und dann plötzlich wieder fröhlich. Die Gefühle hinterlassen keine Spuren, sie gehen einfach durch. Einer der Gründe warum Kinder so wunderbar lebendig und voller Energie sind.

Bei mir beobachte ich ähnliches. Wenn ich meine Wut ausdrücken darf – meistens durch bruddeln, motzen, immer weniger durch Schreien oder Türen schlagen – dann ist danach wieder gut. Ich trage auch nichts nach oder fange später wieder mit dem Thema an. Die Wut durfte sich entladen und dann tut sie nichts mehr. Verpufft. Wenn ich die Wut aus welchen Gründen auch immer nicht so ausdrücken kann, wie ich es möchte, dann dauert das ganze viel länger, teilweise bleibt sie richtig in mir stecken und brodelt vor sich hin. In diesen Fällen hole ich das Thema immer wieder hoch und kann damit nicht abschließen. Gar nicht gut. Weder für mich noch für die Menschen um mich herum.

Aber Vorsicht! Für mich heißt das nicht, dass ich jetzt einfach jedem Gefühl nachgebe und mich wie die Axt im Walde aufführe. Das wäre genauso schlecht. Denn die Wut ist nicht grundlos da. Und wenn ich verstehe, warum sie da war, habe ich in Zukunft die Möglichkeit dagegen zusteuern. Außerdem ist es so – wütend werde ich nur, wenn ich (mal wieder) glaube, dass die Welt anders sein müsste, als sie gerade ist. Das ist bei mir der Wutauslöser. Das sind aber nur Gedanken. Nur wütende Gedanken können Wut auslösen. Nun sehe ich nicht immer, dass ich gerade wütende Gedanken habe, sondern manchmal sind die einfach da und damit die Wut. In diesem Augenblick kann ich nichts tun. Da kann ich nicht klar denken und da hilft es tatsächlich nur, die Wut auszudrücken. Aber hinterher, schaue ich mir an, was abgelaufen ist. Ganz oft sehe ich inzwischen, dass ich mal wieder auf meine Gedanken reingefallen bin. Dass es nicht „die Welt da draußen war“ die so gemein zu mir war und ich deshalb wütend werden musste. Sondern dass es einfach nur wieder mein Kopfkino war, dass mir einen sehr überzeugenden und mitreisenden Film vorgespielt hat. Jedes Mal, wenn ich das ein Stück mehr erkenne, reagiere ich bei der nächsten ähnliches Situation weniger wütend. Weil ein Teil von mir kapiert hat, dass es nicht so ist, wie es den Anschein hat.